Die Summe unserer Handlungen

Ein Volkswirt unter Architekten: Mit Verve redete Niko Paech, außerplanmäßiger Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen, Bauherren im Besonderen ebenso wie Bürgern im Allgemeinen ins ökologische Gewissen. Ort des Geschehens: die Nationalakademie Leopoldina in Halle an der Saale, in die der Bund Deutscher Architekten, BDA, am 25. Mai 2019 seine Mitglieder geladen hatte. Nun steht Paechs empfehlenswerter Vortrag im Netz.

Architektur und Stadtplanung hätten allzulange im Wachstumsdogma verharrt, so der Ökonom. Die Folge: Flächenversiegelung in großem Maßstab, ein »Amoklauf« gegen unsere Lebenswelt. Noch in den 1950er Jahren reichten 15 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf, heute sind es 46,5 Quadratmeter. Otto Normalverbraucher braucht sogar eher mehr. Denn Säuglinge, Gefängnisinsassen und bettlägerige Pflegebedürftige sind in die Rechnung einbezogen.

Paech argumentiert mit Immanuel Kant, wenn er fragt: Wie lässt sich Gerechtigkeit auf einem begrenzten Planeten herstellen? Was darf sich ein einzelner Mensch an materiellen Freiheiten erlauben, ohne über seine ökologischen und damit auch sozialen Verhältnisse zu leben? Bezogen auf das Klimaschutzproblem laute die Antwort: Wer nicht bereit sei, sich auf einen Kohlendioxidausstoß von 2,5 Tonnen pro Jahr zu beschränken – aktuell sind es im Durchschnitt mehr als 12 Tonnen –, will entweder keine globale Gerechtigkeit. Oder er will die Voraussetzungen für menschliches Leben auf der Erde nicht erhalten.

Die von Paech entwickelte »Postwachstumsökonomie« plädiert unter anderem für regionale Märkte, für das Teilen von Gegenständen, für mehr Sesshaftigkeit, kurz: für Befreiung vom Überfluss. »Grünes Wachstum« sei eine Illusion: In den letzten Jahrzehnten gebe es zwar von allem immer mehr – mehr Windkraft, mehr Solarenergie, mehr Nachhaltigkeitskonferenzen und -podiumsdiskussionen und -lehrstühle, mehr Ökoliteratur, mehr Elektroautos, mehr ökofairen Kaffee, mehr Passivhäuser –, und trotzdem wachse der Ressourcenverbrauch pro Kopf. Nachhaltigkeit, so wie wir sie leben, sei Kulisse ohne Substanz.

Selbst Öko-Bauherren sind nicht automatisch die besseren Menschen, zeigen Paechs Studien. So sage zum Beispiel die technische Effizienz von Gebäuden alleine noch nichts über die Energieverbräuche pro Kopf aus – die hängen nämlich vom tatsächlichen, oft nicht adäquaten Nutzerverhalten ab. Und selbst minimale Pro-Kopf-Verbräuche im Wohnbereich geben über die individuellen CO2-Bilanzen keine Auskunft: Wer in seinem sonstigen Leben immer neue Emissionsrekorde erzielt, wird auch durch ökologisches Bauen seiner ökologischen Verantwortung nicht gerecht.

Pointiert gesagt: Es ist unbedingt richtig, Passivhäuser zu bauen und ökofairen Kaffee zu kaufen. Was aber einzig zählt, ist die Summe aller unserer Handlungen. Paech – und Kant – sind gute Ratgeber. Wir sollten auf sie hören.

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